Bloggerin von oben: Jessica Schobers Hubschrauberflug gibt es auf Youtube zu sehen. Screenshot: Youtube.

Bloggerin von oben: Jessica Schobers Hubschrauberflug gibt es auf Youtube zu sehen. Screenshot: Youtube.

Die Idee war großartig, das Konzept gut formuliert, und bei der Umsetzung wollten der Chefredakteur der „Rhein-Zeitung“ und die Vertreter der Landesregierung von Rheinland-Pfalz auf Nummer sicher gehen.  „Einmal mit Profis arbeiten“, werden sich Christian Lindner (Rhein-Zeitung), Rainer Zeimentz (Innenministerium) und Thomas Metz (Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz) gedacht haben, als sie aus Hunderten von Bewerbern eine professionelle Journalistin auswählten.

So kam Jessica Schober aus München zu einem Job als Burgenblogger in einer der bekanntesten Landschaften Deutschlands,  dem Welterbe Oberes Mittelrheintal rund um die Loreley. Die Casting-Gewinnerin war perfekt ausgebildet (Deutsche Journalistenschule), interessierte sich leidenschaftlich für Lokaljournalismus, hatte ein eigenes, viel beachtetes Blogprojekt namens Wortwalz gestemmt und überzeugte durch eine mitreißende Bewerbung auf Tumblr.

Sechs Monate sollte sie auf einer Burg hoch über dem Rhein leben und frei und ungezwungen über die Region und ihre Menschen schreiben. Eigene Projekte und Aufträge Dritter waren weiterhin möglich, es gab ausdrücklich keine Exklusivvereinbarung. Neben der Unterkunft auf Burg Sooneck bekam sie 2000 Euro monatlich, einen Dienstwagen und ein Handy.

Am Mittwoch hat die Burgenbloggerin das Projekt nach weniger als vier Monaten abgebrochen. In einem letzten Artikel erklärt sie:

Als Burgenbloggerin war ich angetreten, um eine neue Art des Lokaljournalismus auszuprobieren. Dabei habe ich gemerkt: Wer über Menschen berichten will, sollte unter Menschen leben. Mitten im Mittelrheintal. Nicht 300 Höhenmeter über ihnen im Wald, in Abgeschiedenheit. Das ist nicht die Art von Lokaljournalismus, für die ich stehe. Deshalb bin ich aus Burg Sooneck ausgezogen und habe das Projekt für mich beendet.

Kommentare zu ihrem Abschiedstext sind nicht zugelassen. Auf Twitter heißt es

Jessica Schober wird hier keine Fragen beantworten.

Über die Gründe von Jessicas Schobers Abschied und ihre zuletzt immer spärlichere Präsenz im Netz und im echten Mittelrheinleben ist schon alles gesagt worden. Blicken wir also nach vorn, denn im kommenden Jahr soll das Projekt neu aufgelegt werden. Reden wir darüber, was man aus der jetzt beendeten Aktion lernen kann und was 2016 besser gemacht werden muss. Denn es wird nicht genügen, das bisherige Konzept aus der Büroschublade zu ziehen und zu hoffen, dass es diesmal über volle sechs Monate hinweg gut geht.

Leider klingt die offizielle Stellungnahme der Projektpartner eher nach „Weiter so“ und „Wir haben alles richtig gemacht“, als nach Selbstkritik und Weiterentwicklung:

Weil schon die Pionierphase mit der ersten Burgenbloggerin so spannend, so fruchtbar und so erfolgreich war, haben wir als Träger des Projektes gemeinsam mit Jessica Schober beschlossen: Der Burgenblog wird weiterleben. Wir sagen gerne und mit Freude: Auch 2016 wird es einen Burgenblogger oder eine Burgenbloggerin geben. Wieder soll er oder sie von Mai bis Oktober als digitaler Reporter im Tal unterwegs sein. Und wieder soll er oder sie  über die Reize und Pracht des Mittelrheintales ebenso berichten wie über seine Wunden und Schrunden. Unvoreingenommen, ungebunden und unzensiert.

Lieber Geldgeber und Partner des Burgenblogger-Projekts, ich hätte da ein paar Vorschläge.

1. Werdet euch darüber einig, was ihr wollt: Eine Bloggerin oder eine Journalistin.

Eigentlich bin ich kein Freund der Blogger- oder Journalisten-Schubladen. Im Fall der  Burgenbloggerin ist der Unterschied aber wichtig, weil Jessica Schober je nach Opportunität damit hantiert hat. Wenn ihr danach war, schrieb sie so subjektiv, recherchefrei und selbstreferenziell wie Bloggerinnen das tun dürfen. Aber sobald sie dafür kritisiert wurde und ihre Leser den Dialog suchten, zog sie sich auf den Standpunkt der distanzierten Journalistin zurück, die niemandem Rechenschaft ablegt. Besonders gut war das rund um ihren Artikel „Gegen Heimweh hilft nur Fernweh“ zu beobachten. Einem Text übrigens, der „RZ“-Chefredakteur Christian Lindner wahrscheinlich keinem seiner Lokalredakteure durchgehen lassen würde, journalistische Unabhängigkeit hin, freies Bloggerleben her.

Beim nächsten Bewohner von Burg Sooneck sollte von Anfang an klar sein: Wenn er Blogger sein will, muss er sich im Netz auch wie ein Blogger verhalten und mit seinen Lesern kommunizieren.  Wenn er stattdessen lieber Journalismus alter Schule bevorzugt: Auch okay. Aber dann möge er sich in seinen Artikeln zurücknehmen und uns seine persönlichen Befindlichkeiten ersparen. Entweder, oder.

2.  Die Burgenbloggerin ist eine Dienstleisterin. Und ihr müsst sie führen.

Juristisch gesehen ist die Burgenbloggerin nichts anderes als der Dachdecker, der neue Schieferplatten auf Burg Sooneck verlegt. Wenn die staatliche Burgen- und Schlösserverwaltung Rheinland-Pfalz ihre Handwerker so führen würde wie ihre Blogger, wäre die Sooneck mit billigen Obi-Dachpfannen zum Preis von portugiesischem Naturschiefer eingedeckt. Jessica Schober hat schon vor ihrem Weggang gerade das Nötigste für das Blog getan und zuletzt nur noch Texte mit minimalem Recherche-Aufwand geliefert. Ihre letzter regulärer Artikel erschien am 8. August. Es ging dort um einen regionalen Mäzen, eigentlich ein wunderbarer Stoff für ein Porträt. Heraus kam ein Protokoll mit Aussagen zum Mittelrhein. Journalisten lieben dieses Format, wenn es schnell gehen muss. Man hört sich etwas an, fasst es zusammen, legt es noch einmal zur Abstimmung vor und veröffentlicht es. Fertig. Aufwand: Maximal ein Arbeitstag.

Wie geht man als Auftraggeber damit um, dass der Blogger weniger liefert als versprochen? Wie reagiert man, was sagt man ihm, welche Konsequenzen zieht man zu welchem Zeitpunkt? Oder reicht es, wenn der Burgenblogger furios startet, eine Debatte im Mainzer Landtag verursacht und eine ziemlich lebhafte Facebook-Gruppe initiiert?

Das müssten die Projektpartner klären. Untereinander, im Gespräch mit den nächsten Kandidaten und vor allem gegenüber den Menschen am Mittelrhein, die einfach nur auf gute Blog-Texte warten.

3. Ihr braucht das PR-Gedöns nicht mehr.

Das öffentliche Casting und die Medienpartnerschaft mit der „Rhein-Zeitung“ waren wichtig, um das Projekt bekannt zu machen. 2014. Braucht ihr das jetzt immer noch? Ich glaube nicht. Ein weiteres Casting kostet Zeit und bringt wenig. Es fördert Selbstdarsteller und lenkt von den wirklich wichtigen Dingen ab. Ihr habt im vergangenen Jahr ein ziemlich gutes Anforderungsprofil formuliert

Wir suchen einen Menschen, der sich nicht über das Mittelrheintal erhebt, sondern sich auf diese Gegend einlässt – realistisch, aber auch mit einem Faible für die Thematik und einer Grundsympathie für die Mittelrheiner, die in dieser ebenso schönen wie strapazierten Region beheimatet sind.

Wenn ihr das noch weiter verfeinert, werdet ihr genau wissen, was und wen ihr wollt. Dann könnt ihr gezielt Blogger ansprechen und müsst euch nicht durch Hunderte von Bewerbungen wühlen.

Überlegt euch auch, ob die Medienpartnerschaft zwischen Land und „Rhein-Zeitung“ überhaupt noch sein muss. Wozu braucht man sie? Um das Projekt überregional bekannt zu machen? Dafür ist eine regionale Tageszeitung mit rigoroser Paywall sicher nicht der beste Partner. Um in der Region selbst zu werben? Auch das kann die „Rhein-Zeitung“ nur unvollständig leisten, denn in wesentlichen Teilen der Region ist die Zeitung überhaupt nicht präsent. Man liest dort die „Allgemeine Zeitung“ und ihre Rheingauer Schwestertitel, also Medien der konkurrierenden Verlagsgruppe Rhein-Main. Das Burgenblogger-Projekt muss jetzt auf eigene  Füßen stehen, es braucht kein Zeitungshaus als Nanny.

Abgesehen davon:  Eine „Medienpartnerschaft“ zwischen Staat und Presse ist ein Unding.

4. Nehmt die Burg nicht so wichtig!

Musste Jessica Schober eigentlich durchgehend auf der Burg wohnen? Ich hoffe, nicht. Klar, die Sooneck gehörte am Anfang zum Storytelling, aber kein freier Mensch wird sich zwingen lassen, ein halbes Jahr lang nur dort und nicht anders zu leben. Die Burgwohnung kann immer nur ein Angebot sein,  nie eine Pflicht. Orientiert euch am Beispiel der klassischen Stadtschreiber. Auch von denen erwartet niemand, dass sie kontinuierlich in Türmen oder über Museen hausen. Lasst den oder die Burgenbloggerin an die frische Luft. Es genügt, wenn sie sich oft auf der Sooneck aufhält, nicht ausschließlich.

Und gebt der Bloggerin um Himmels Willen ein unauffälligeres Auto.

Disclaimer: Ich bin der Region privat verbunden und einer der Admins der von Jessica Schober initiierten Facebook-Gruppe „Du kommst vom Mittelrhein, wenn….“