#journalist #blogger #contentstrategie #analogermigrationshintergrund

Monat: Oktober 2013

Macht es doch selber!

medientage-neu

Online-Gipfel auf den Medientagen München: Die Huffpo war auch hier Thema Nummer eins. Foto: Medientage München.

Gibt es noch neue Wortmeldungen zum Thema Huffington Post? Die Betonung liegt auf „neue“. Also „neu“ im Sinne von „noch nie gehört“. Das scheint nicht der Fall zu sein. Danke, dann können wir diesen Teil der Debatte jetzt abschließen und zum eigentlichen Punkt kommen: Was kann man von einer Medienmarke lernen, die von einem linksliberalen Meinungsführer zu einer Boulevard-Zeitung für Sehbehinderte Hyperopie-Patienten mutiert ist und trotzdem rote Zahlen schreibt? Eine Menge. Und die Huffington Post in ihrem heutigen Zustand macht es einem sogar leicht.

  1. Sehen wir der Realität ins Auge. Kostenlose Blog-Beiträge als Ergänzung zur klassischen Redaktion sind die Zukunft, ob wir das wollen oder nicht. Mehr als eine Milliarde Menschen produzieren kostenlose Inhalte für Facebook. Wollen wir diese Menschen wirklich daran hindern, kostenlose Inhalte für journalistische Medienmarken zu produzieren?
  2. Und jetzt kommen Sie ins Spiel. Sie werden jetzt vielleicht denken: „Journalistische Medienmarken sind aber was anderes als Facebook“. Ja, das stimmt. Zum Glück. Und genau darum müssen diese Medienmarken journalistisch mit kostenlosen Inhalten umgehen. Sie haben Redaktionen und diese Redaktionen müssen redigieren. Sie müssen eine Auswahl treffen. Sie müssen gute Texte noch besser machen, an mittelmäßigen arbeiten und schlechte zurückgehen lassen. Sie veröffentlichen keine Artikel, die mit „Die Konferenz an sich ist sehr lohnenswert, denn sie bietet sehr viele Networkingmöglichkeiten für Blogger sowie für Tourismusindustrievertreter“ beginnen. Sie brauchen keine DAX-Vorstände oder Gazprom-Chefs als Autoren, wenn deren „Gastbeiträge“ aus der Phrasenfabrik ihrer PR-Bürokratie stammen und ihre Namen darüber eigentlich Etikettenschwindel sind.
  3. Übrigens. Die Huffpo-Blogs bringen ihren Autoren noch nicht einmal große Reichweite. Selbst eine kleine B-to-B-Website wie LEAD digital kann ihren Blogger mehr Traffic bieten als die deutsche Huffington Post. Heute kam der meistgelesene Blog-Artikel der Huffpo auf 353 Views. Bei LEAD digital waren es 3.552.
  4. Liebe Verleger, warum schlagt ihr die Huffington Post nicht einfach mit ihren eigenen Waffen? Aggregiert Ideen und Inhalte, aber macht es anders als die Huffington Post. Macht es auf eure Art. Ihr könnt kostenlose Blog-Artikel ruhig weiter verachten – aber nur, wenn sie schlecht sind. Wenn sie aber gut sind, dann macht sie noch besser und ergänzt damit euer redaktionelles Angebot. Lasst die Huffington Post ruhig auf Artikel-Masse setzen, sorgt ihr für Klasse. Oder habt ihr diesen Anspruch schon aufgegeben?
  5. Do it youself. Wenn Hubert Burda für die Marke Huffington Post Lizenzgebühren zahlen möchte, wird er sich schon etwas dabei gedacht haben. Aber das ist nicht unser Problem. Warum er das Huffington-Post-Modell nicht einfach bei Focus Online umgesetzt hat und wieso er unbedingt Arianna Huffington dazu brauchte – keine Ahnung. Wir müssen das nicht wissen. Ich finde, die deutschen Medienhäuser schleppen schon genug historischen Ballast mit sich rum; sie brauchen nicht noch unbedingt eine amerikanische Lizenz aus dem Jahr 2005. Was Huffington kann, das können sie auch. Wenn sie nur wollen. Also, liebe Verleger: Nutzt das Blogger-Modell doch einfach für euch selbst. Entwickelt es weiter. Macht es besser. Sucht euch gute Autoren. Zahlt sie mit Aufmerksamkeit, wenn sie vor allem Aufmerksamkeit wollen und gebt ihnen Geld, wenn Schreiben ihr Hauptberuf ist. Ihr braucht keine Arianna Huffington. Ihr braucht nur gute Blogger. Und Journalisten, die mit ihnen zusammenarbeiten (aber die habt ihr alle schon).

Huffington Post: Zurück in die Zukunft

Mark Twain, 1909. Foto: Library of Congress / Public Domain / Wikipedia

Mark Twain, 1909. Foto: Library of Congress / Public Domain / Wikipedia

Donnerstag also kommt die Huffington Post nach Deutschland, das „Anti-Geschäftsmodell für Journalismus“, wie der Vorstandschef von Axel Springer meint. Ganz abgesehen davon, dass man auch in manchen Springer-Publikationen etwas Anti-Journalistisches erkennen könnte: Die Huffington Post ist weder der Untergang des Journalismus noch seine alternativlose Zukunft. Vielleicht ist es eher seine Vergangenheit.

Wenn wir an Huffington Post denken, denken wir zuerst an kostenlose Blogger und aggregierten Content. Beides ist zwar typisch für die Huffington Post, aber Gratis-Gastbeiträge und nichtinvestigative Artikel haben deutsche Medien auch ohne Arianna Huffington fertiggebracht (was übrigens keine Schande ist).

Außer kostenlos und aggregiert steht die Huffington Post aber noch für etwas anderes: für die Entakademisierung des Journalismus. Damit meine ich nicht nur die Blogger, die ohne journalistische Ausbildung und Erfahrung HuffPo-Artikel schreiben. Auch bei der Auswahl der Redakteure spielen akademische Abschlüsse oder Volontariate keine besondere Rolle.

In der aktuellen „Zeit“ (Printausgabe) erzählt Götz Hamann von einem 27-Jährigen Workaholic namens Travis Donovan, der noch vor drei Jahren „keine Ahnung vom Journalismus hatte“ und sich als Sozialarbeiter um behindertengerechtes Wohnen in Flagstaff, Arizona, kümmerte. Dann machte er ein Praktikum bei der Huffington Post, ergatterte dort einen Job als Redakteur für Umweltthemen, baute die HuffPo-Seite Huffington Post Green auf und treibt heute als eine Art journalistischer Entwicklungschef („executive editor of product“) Innovationen bei der HuffPo voran. Mit 27. Ohne nennenswerte journalistische Vorgeschichte. Aber mit Energie, Einsatz und vorzeigbaren Ergebnissen. Eine in den „klassischen Medien“ undenkbare Karriere. Oder?

Blicken wir auf die Pionierzeit der „klassischen Medien“ zurück, gehen wir mal kurz ins 19. und frühe 20. Jahrhundert. Journalist wurde man damals nicht durch Lernen, sondern durch Machen. Journalistenschule? Gab es nicht. Studium? Nicht nötig. Abitur? Nice to have. Das, was man heute „formale Qualifikation“ nennt: Unbekannt.

Mark Twain jobbte als Schriftsetzer, Missisipi-Lotse und Goldgräber, eher er Lokaljournalist wurde. William Howard Russell, der Vater der modernen Kriegsberichterstattung, studierte ein bißchen in Dublin und Cambrigde und schrieb ab 1841 für die „Times“. Damals war er 20 Jahre alt. Ernest Hemingway startete seine Laufbahn als Redakteur bei einer Regionalzeitung namens „Kansas City Star„. Mit 18. Und Theodor Wolff hatte noch nicht einmal Abitur. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger hat einen der bedeutendsten Journalistenpreise der Republik nach ihm benannt. Gibt es einen deutschen Zeitungsverleger, der jemanden mit Theodor Wolffs Qualifikation heute in irgendeine Redaktion aufnehmen würde? Ich glaube nicht.

Aber man muss noch nicht einmal Ausnahmeschreiber wie Mark Twain, Ernest Hemingway oder Theodor Wolff bemühen, um die Vorurteilslosigkeit damaliger Verleger und Chefredakteure zu dokumentieren. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war die „Augsburger Allgemeine Zeitung“ eine der renommiertesten Blätter im deutschen Sprachraum (sie hat mit der heutigen AZ nur den Namen gemein). Der Titelheld meiner Dissertation, Karl von Hofmann, Diplomat und Ministerpräsident des Großherzogtums Hessen in der Reichsgründungszeit (muss man nicht kennen), schrieb als absolut unbekannter Rechtsreferendar politische Artikel für die „Augsburger Allgemeine“. Natürlich ohne jede formale journalistische Qualifikation.

Journalismus als von anderen Berufsgruppen abgeschottete und akademisierte Profession, als Klasse für sich: das ist eine Erfindung des späten 20. Jahrhunderts. Wobei dieses Konzept von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Denn das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit kennt keine Journalisten. Es kennt nur Bürger, die dieses Recht in Anspruch nehmen – egal wie qualifiziert oder wie gut oder wie schlecht. Die deutsche Huffington Post macht sich das zunutze, weiter nichts.

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